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  Ausgabe 2 (2011)

Dermatotherapie
Pharmakoökonomische Brennpunkte in der Dermatotherapie
Eine große Herausforderung ist die frühe Nutzenbewertung von Dermatika

Bericht von Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel

Für die pharmazeutische Industrie ist die künftig vorgeschriebene frühe Nutzenbewertung für innovative Arzneimittel die größte Neuerung der jüngsten Reformgesetzgebung im Gesundheitswesen. Erstmals wird damit unmittelbar in die Preisbildung innovativer Arzneimittel eingegriffen. Daher waren die Nutzenbewertung, ihre Voraussetzungen und Konsequenzen auch Themen im Programm der 15. GD-Jahrestagung im April 2011 im niederländischen Vaals. Im wissenschaftlichen Hauptprogramm der Tagung stellte Professor Dr. Matthias Augustin, Hamburg, die speziellen Probleme der Nutzenbewertung für die Wundversorgung vor. In einem zusätzlichen Symposium zum Thema „Aktuelle pharmakoökonomische Aspekte in der Dermatotherapie“ sprachen vier Vorträge die Nutzenbewertung und mögliche Hilfsmittel dafür an. Überall wurde deutlich, dass die Neuregelung noch viele Fragen offen lässt.


Professor Augustin erläuterte, weshalb der übliche Ansatz der Nutzenbewertung kaum auf die Wundversorgung übertragbar ist. Zudem zeigte er die Grenzen auf, die das Konzept der Nutzenbewertung über diese Indikation hinaus hat. Dabei stellte er die Kriterien der Nutzenbewertung in den Vordergrund.

In der Wundversorgung gelten
eigene Qualitätskriterien


Forderungen nach evidenzbasierten Entscheidungen, wie sie im Arzneimittelbereich verbreitet sind, könnten auf die Wundversorgung nicht übertragen werden. Denn bei Wunden kommen auch Operationen und physikalische Verfahren zum Einsatz. Die Auswahl von Wundauflagen richte sich nach vielfältigen Kriterien wie Subtyp, Schweregrad, Exsudation, Zustand der Wundränder, Durchblutung, Infektion und Komorbiditäten. Tausende von Entitäten seien zu unterscheiden.


Nach Auffassung von Professor Dr. Matthias Augustin, dem Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, sind die Kriterien, mit denen heute die Wirksamkeit von Arzneimitteln beurteilt wird, nicht auf die Wundversorgung übertragbar.

Angesichts der Vielfalt der zu berücksichtigenden Parameter könnten Meta-Analysen und Standards hier nicht mehr sinnvoll angewendet werden. Randomisierte klinische Studien seien oft nur schwer auf die jeweilige Fragestellung übertragbar. Daher würden etwa 40 Prozent der Therapieentscheidungen im Wundbereich weiterhin auf Expertenmeinungen beruhen.

In einer 2007 im British Medical Journal (BMJ) veröffentlichten Meta-Analyse aus 42 Publikationen sei kein signifikanter Vorteil für den Einsatz von Wundauflagen ermittelt worden. Angesichts der vielen Varianten des Krankheitsbildes verwundere dies jedoch nicht. Mit weiter gefassten Einschlusskriterien hat Augustin 451 relevante Studien identifiziert.

Die Sicherung der Versorgung
hat oberste Priorität


Einige Krankenkassen würden aufgrund einer Arbeit des medizinischen Dienstes der Sozialversicherung, die wiederum auf die Studie im BMJ verweist, nur eine Versorgung mit dem Allernötigsten bezahlen. „Mit dem Ergebnis setzen wir uns in der Versorgung auseinander“, so Augustin. Daher forderte er die Kostenträger auf anzuerkennen, dass die Versorgung aus mehr als evidenzbasierter Medizin besteht.


Wie in den Vorjahren, fand auch im Rahmen der 15. GD-Jahrestagung vom 4. bis 6. April 2011 in Vaals wieder ein Symposium zu aktuellen pharmakoökonomischen Fragen in der Dermatotherapie statt. Vorsitzende des Symposiums und als Referenten tätig waren der Apotheker und Diplom-Kaufmann Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel (links), sowie der Dermatologe Professor Dr. Thomas L. Diepgen, Heidelberg.

Als alternatives Bewertungsinstrument propagiert Augustin den aus der ökonomischen Nutzentheorie abgeleiteten Patient-Benefit-Index. Bei dieser Methode werden die Patienten nach den jeweils für sie relevanten Versorgungsparametern befragt. Diese werden dann vor und nach der Therapie erhoben, um den Behandlungserfolg individuell und doch aussagekräftig zu bewerten.

Das AMNOG hat vielfältige
Folgen für die Dermatotherapie


Dr. Thomas Müller-Bohn, Süsel, gab einen Überblick über die Folgen des jüngsten Reformgesetzes, des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG), für die Dermatotherapie. Dabei sprach er neben der frühen Nutzenbewertung und deren mögliche Folgen auch Probleme der geänderten Aut-idem-Regelung und der Neuregelung bei der integrierten Versorgung an.

Die geänderte Aut-idem-Substitution, nach der Arzneimittel mit nur einem übereinstimmenden Anwendungsgebiet austauschbar sind, schwäche arzneimittelrechtliche Argumente gegenüber dem Sozialrecht und könne auch die Sonderstellung von Topika weiter aushöhlen. Müller-Bohn sieht darin einen weiteren Schritt in einer langen Reihe von Fehlentwicklungen, die systematisch die Bedeutung der Arzneiform für den Nutzen eines Arzneimittels missachten.

Die Neuerung, dass pharmazeutische Unternehmen und Hersteller von Medizinprodukten aktive Partner bei der Integrierten Versorgung werden und so erstmals direkt in Kontakt zu den Patienten treten können, wertete Müller-Bohn als „Dammbruch“. Dies könne aber auch zu einer erfolgreichen Partnerschaft zwischen Industrie und Apotheken führen, weil die Apotheken über ideale Patientenkontakte verfügen, die der Industrie meist fehlen.

Die frühe Nutzenbewertung ist
eine große Herausforderung


Als eines der aktuell größten pharmakoökonomischen Probleme betrachtet Müller-Bohn das mit dem AMNOG neu eingeführte Verfahren der frühen Nutzenbewertung. Damit werde erstmals unmittelbar in die Preisbildung innovativer Arzneimittel eingegriffen. Das Verfahren rücke die früher als zentrales Element vorgesehene Kosten-Nutzen-Bewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin (IQWiG) jetzt an das Ende des Entscheidungsweges.

Da die Nutzenbewertung zu einer wesentlichen Hürde für die Vermarktung innovativer Arzneimittel wird, stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien der Nutzen von Dermatika bewertet werden sollte. Antworten auf diese Frage versucht das von Professor Augustin geleitete, am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ansässige Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) zu finden.

Kriterien für die Nutzenbewertung
von Dermatika müssen her


Dr. Florian Beikert vom IVDP verwies auf das Dilemma, dass das Nutzendossier schon vor dem Markteintritt einzureichen ist. Dies sei problematisch, da viele aussagekräftige Ergebnisgrößen erst in der realen Versorgung ermittelt werden können.

Sofern eine solche Frühbewertung überhaupt sinnvoll sei, sollte zumindest eine Einigung auf bestimmte Outcomeparameter erfolgen, um der Industrie die nötige Planungssicherheit zu geben. Gefragt seien valide Endpunkte und Angaben über relevante Mindestdifferenzen zwischen den Produkten.

Um geeignete Kriterien zu finden, hat die Deutsche Dermatologische Gesellschaft gemeinsam mit dem Berufsverband der Deutschen Dermatologen ein Entwicklungsprogramm gestaltet, das Beikert vorstellte. Als Vorarbeit wird derzeit eine Zusammenstellung der bereits existierenden Bewertungsmethoden in Buchform erstellt. Anschließend sollen innerhalb von drei Jahren – analog zur Vorgehensweise bei Leitlinien – in Arbeitsgruppen indikationsspezifische Nutzenkriterien erarbeitet werden.

In der Diskussion wurde deutlich, dass die Dermatologie, in der Ergebnismaße wahrscheinlich schwerer als in vielen anderen medizinischen Disziplinen zu finden sind, durch die Nutzenbewertung unter besonderem Druck steht. Andererseits erarbeitet sie nun als erstes medizinisches Fach systematisch die dafür nötigen Kriterien.

Nichtinterventionelle Studien
bieten sich als Alternative an


Dr. Christoph Eicke, Bad Vilbel, machte deutlich, dass zum Erkenntnisgewinn nicht immer randomisierte klinische Studien nötig sind. Als Alternative beschrieb er nichtinterventionelle Studien (NIS), die meist prospektiv angelegt sind. Deren großer Vorteil liege in der hohen externen Validität, also in der Generalisierbarkeit der Ergebnisse und ihrer Aussagekraft für reale Versorgungsbedingungen.


Der Diplombiologe Dr. Christoph Eicke, Bad Vilbel (E-Mail: eicke@christoph-eicke.de), arbeitet als freiberuflicher Berater und Projektmanager für die pharmazeutische Industrie. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört die Planung, Überwachung und Auswertung von nichtinterventionellen Studien.

Diese Übertragbarkeit fordere eigentlich auch das IQWiG, erklärte Eicke, und doch lasse es praktisch nur randomisierte klinische Studien gelten. International würden NIS besser akzeptiert, insbesondere in Kanada und Australien. Daher müsse in Deutschland noch für eine bessere behördliche Akzeptanz dieser Studien geworben werden.

Weitere Vorteile von NIS bestünden im deutlich geringeren Aufwand. NIS würden nur etwa fünf Prozent der Kosten kontrollierter randomisierter Studien verursachen. Dennoch würden sie valide Ergebnisse liefern und die Vorteile von Innovationen nicht überschätzen. Dies demonstrierte Eicke anhand von beispielhaften Vergleichen mit randomisierten kontrollierten Studien zu jeweils ähnlichen Fragestellungen.

Die Qualität von NIS könne durch strenge Vertragsgestaltung und das Monitoring der Daten gesichert werden. Außerdem könne ein Validitätsindex für statistische Aussagen zur Datenvalidität geschaffen werden. So entstehe ein Studienkonzept, das als „Validität induzierende NIS (VINIS)“ bezeichnet werden könne.

Eicke prognostizierte für dieses Konzept großen Bedarf durch die neue frühe Nutzenbewertung und die wachsende Bedeutung von Lebensqualitätsdaten, die gut mit NIS erfasst werden könnten. Besonders in der Dermatologie gebe es dafür viele Anwendungsmöglichkeiten.

Ein hoher Bedarf besteht
auch für Registerstudien


Zu den NIS zählen auch Registerstudien, die Kristina Heyer vom IVDP in Hamburg vorstellte. Unter den Registern können verschiedene Typen wie populations- oder krankheitsbezogene Register sowie Arzneimittel- oder Therapieregister unterschieden werden.


Dr. Florian Beikert und Kristina Heyer vom Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf machten deutlich, dass bei den Methoden, die für die frühe Nutzenbewertung von Dermatika herangezogen werden können, noch weiterer Entwicklungsbedarf besteht.

Register bilden ähnlich wie Kohortenstudien eine prospektive Dokumentation der Krankheitsverläufe in der Zielpopulation und ermöglichen Bewertungen unter Alltagsbedingungen. Daher eignen sie sich für die Versorgungsforschung, die Nutzenbewertung und für gesundheitsökonomische Evaluationen. Im Vergleich zu randomisierten klinischen Studien sind die Einschlussbedingungen viel weiter gefasst.

Heyer beschrieb Registerstudien als effizient, sicher sowie zeit- und kostensparend. Dabei würden sie hohe Qualitätsanforderungen erfüllen. Durch gutes Design, geeignete Datenquellen, Maßnahmen zur Motivation der Teilnehmer, Schulungen des Studienpersonals und Überprüfungen der Validität lasse sich die Qualität der Daten sichern.

Ähnlich wie Eicke allgemein für NIS sieht auch Heyer für die Registerstudien künftig zunehmenden Bedarf durch die Nutzenbewertung. Für dermatologische Indikationen bestehen in Deutschland derzeit 19 Register, sagte Heyer. Beispielhaft nannte sie die in Hamburg geführten Register Pro Best für Psoriasis, Wound Best für die Wundversorgung und ein Register für das Avance-System zur Unterdrucktherapie.

Weitere Vorträge zu pharmakoökonomischen Themen

In weiteren Vorträgen des Symposiums wurden ökonomische Aspekte in der Therapie des chronischen Handekzems sowie das Problem der Anwendbarkeit der neuen Packungsgrößenverordnung für topische Dermatika behandelt. Darüber wird DermoTopics in den beiden nächsten Ausgaben berichten. Zusammenfassungen von diesen und allen anderen Vorträgen der 15. GD-Jahrestagung finden sich unter der Website www.gd-online.de.

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